Vielleicht bin ich ja ein ängstlicher Typ, aber wenn mich mein Gefühl nicht trügt, dann haben die Apokalyptiker, die Verkünder unheilvoller Nachrichten, gerade Hochkonjunktur. Da liest man vom schleichenden Tod des Universums, das mehr und mehr verblasst, weil immer weniger Materie in Energie umgewandelt wird. Da berichten Geophysiker von gigantischen Magmablasen, die unter Hawaii, dem Marmarameer und dem Yellowstone Nationalpark aufsteigen und sich wahrscheinlich noch in diesem Jahrtausend zu ganze Landstriche verheerenden Supervulkanen entwickeln sollen. Andere warnen vor ins Meer abrutschenden Steilküsten geologisch instabiler Inseln, die Flutwellen von einigen hundert Metern Höhe auslösen können, und auch der Klimawandel, verbunden mit einem Abschmelzen der Gletscher und dem Anstieg der Meeresspiegel um viele Meter, soll nach Ansicht mancher Experten nicht mehr aufzuhalten sein. Und nun auch noch das: Nach Meinung einiger Geophysiker wird spätestens in einer Milliarde Jahren das Magnetfeld der Erde zusammenbrechen! – O.k., die heutigen „Erdlinge“ werden das nicht mehr erleben. Aber was bedeutet der Verlust des Magnetfeldes für die Erde und das künftige Leben?
Nach außen erscheint das irdische Magnetfeld als ein magnetischer Dipol mit Feldlinien, wie sie von einem Stabmagneten ausgehen. Doch von einem derartigen Stabmagneten im Inneren der Erde ist nichts zu finden. Stattdessen ist das Magnetfeld das Ergebnis eines sogenannten Geodynamos, dessen Funktionsweise grob mit dem eines Fahrraddynamos zu vergleichen ist. Ein Blick ins Innere der Erde zeigt einen Eisen-Nickel-Kern mit einem Radius von rund 3470 Kilometern. Der innere Teil des Kerns – Radius etwa 1220 Kilometer – ist fest, die sich daran anschließende, rund 2250 Kilometer dicke Eisenschicht, flüssig. Aufgrund des Temperaturgradienten im Erdinneren kommt es zu Konvektionsströmungen im flüssigen Eisen, wobei elektrisch leitfähiges Material nach oben strömt, dort abkühlt und anschließend wieder Richtung Erdzentrum absinkt. Die durch die Rotation der Erde hervorgerufene Corioliskraft, die auch dafür verantwortlich ist, dass sich z.B. Tiefdruckgebiete auf der Nordhalbkugel der Erde entgegen dem Uhrzeigersinn drehen, lenkt diese Konvektionsströmungen seitlich ab und versetzt sie in eine schraubenförmige Bewegung, wobei die unterschiedlich schnelle Rotation von innerem und äußerem Eisenkern die Strömungen zusätzlich verdrillt. In Gegenwart eines anfänglich schwachen Magnetfeldes wird durch die komplexe Bewegung des zu leitfähigen Säulen geformten Materials, ein elektrischer Strom induziert, der das Magnetfeld verstärkt, wodurch ein noch stärkerer Strom induziert wird, der wiederum das Magnetfeld noch mehr verstärkt … usw. Dieser Rückkopplungsmechanismus mündet schließlich in ein stabiles Magnetfeld mit einer Magnetfeldstärke – besser magnetischen Flussdichte – von, je nach Ort, 30 bis 60 Millionstel Tesla, bzw. 30 bis 60 Volt Sekunden pro Quadratmeter.
Vereinfachte schematische Darstellung zur Entstehung des Erdmagnetfeldes (Bildquelle: httpsine.ni.comcsappdocpidcs-13385)
Wie die Abbildung zeigt, ist die magnetische Achse gegen die Erdachse geneigt und zwar gegenwärtig um etwa 11,5 Grad.
Als die Erde noch sehr jung und heiß war, gab es noch keine Unterscheidung zwischen einem festen inneren und einem flüssigen äußeren Eisenkern. Das Material war insgesamt flüssig. Fragt sich: wann der innere Teil des Eisen-Nickel-Gemisches erstarrte. Da dieser Umschwung die Konvektion im Eisen und das Magnetfeld der Erde beeinflusst haben muss, sollte sich das auch in der Magnetisierung der Gesteine bemerkbar gemacht haben. Dazu haben Andy Biggin, Dozent für Palaeomagnetismus an der Universität von Liverpool und Kollegen, 363 Gesteinsproben unterschiedlichen Alters näher untersucht. Dabei zeigte sich, dass der magnetische Dipol der Erde vor rund 2,5 Milliarden Jahren zu schwächeln begann. Verantwortlich dafür dürfte die abnehmende Konvektion aufgrund der zunehmenden Auskühlung der Erde gewesen sein. Doch 1,2 Milliarden Jahre später, also vor rund 1,3 Milliarden Jahren, erstarkte das Magnetfeld wieder. Laut Biggin und Kollegen war das der Zeitpunkt, zu dem der innere Eisenkern erstarrte und sich die Konvektion wieder verstärkte. Zwar räumen die Forscher ein, dass ihre Interpretation der Daten nicht zweifelsfrei ist, doch sehen sie in der Verfestigung des Eisenkerns die wahrscheinlichste Erklärung für den abrupten Anstieg des Dipolmoments.
Doch die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Die Erde wird weiter auskühlen. Zwar zeigen die Daten, dass der Prozess langsamer voranschreitet als bisher angenommen, dennoch wächst der innere Kern um etwa einen Millimeter pro Jahr. Damit dürfte es noch mindestens eine Milliarde Jahre dauern, bis auch der äußere Kern soweit abgekühlt ist, dass er erstarrt und die Konvektion im Eisen zum Erliegen kommt. Dann bricht auch der Geodynamo und mit ihm das Magnetfeld endgültig zusammen und die Erde verliert ihren wichtigsten Schild gegen die kosmische Strahlung und den aus geladenen Teilchen bestehenden, mit bis zu 300 Kilometern pro Sekunde auf die Erde prasselnden Sonnenwind. Das Leben wird dann akut gefährdet sein, denn die durch die Partikelstrahlung verursachten Schäden im Erbgut der Lebewesen, der DNA, dürften die natürlichen Reparaturmechanismen sehr wahrscheinlich überfordern. Eine Fülle von mehr oder minder nachteiligen Mutationen wäre die Folge. – Insgesamt keine guten Aussichten für die Biosphäre der Erde!
Aber es gibt Hoffnung! In einer Publikation vom April 2004 zeigen die Physiker G. Birk, H. Lesch und C. Konz, dass der im Prinzip „ungesunde“ Sonnenwind für eine „Restaurierung“ des Magnetfeldes sorgen könnte. Der Mechanismus beruht auf der Wechselwirkung des magnetischen, vollkommen ionisierten Plasmas des Sonnenwindes mit der nicht magnetischen und nur zum Teil ionisierten Ionosphäre der Erde. Aufgrund der Relativbewegung zwischen dem Plasma des Sonnenwindes und der Ionosphär, wird ein magnetisches Feld in der Ionosphäre induziert. Trifft also der Sonnenwind auf den Planeten, dann umströmen die mitgeführten Magnetfeldlinien den Planeten und legen sich wie ein schützender Mantel um ihn. Bei der Venus, die kein inneres Magnetfeld besitzt, ist dieser Effekt zu beobachten. Mit einem Dipolfeld hat das jedoch nichts gemein.
Induzierte Magnetosphäre auf der Venus (Bildquelle: www.mps.mpg.de/161427/PPE-research)
In wie weit ein derart induziertes Magnetfeld das des irdischen Geodynamos ersetzten kann ist jedoch fraglich. Das Feld der Venus ist denn auch um drei bis vier Größenordnungen schwächer als das der Erde. Und vor allem: Es ist nicht konstant. Denn wenn der Sonnenwind „schwächelt“, dann geht auch das induzierte Feld in die Knie. Aber vielleicht wird das ja dereinst durch das unaufhaltsame Größenwachstum der Sonne kompensiert, das auch zu einer deutlichen Intensitätssteigerung des Sonnenwindes führen dürfte.
Jörn Müller (16. Okt. 2015)
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