In der Welt des Allerkleinsten gelten die Gesetze der Quantenmechanik. Warum treten diese Phänomene in unserer makroskopischen Welt kaum in Erscheinung? Warum sehen wir nicht fortwährend Quantenfluktuationen entstehen und vergehen? Warum können wir Wände oder andere Barrieren nicht durchtunneln? Warum sind Zustände in unserer vertrauten Welt klar festgelegt und nicht eine Mischung/Überlagerung aus vielen Möglichkeiten? Insbesondere die letzte Fragestellung hat Erwin Schrödinger plakativ in einem berühmten Gedankenexperiment veranschaulicht:
Ein instabiles Atom befindet sich quantenmechanisch in einem überlagerten/gemischten Zustand aus "Kern ist noch stabil" und "Kern ist bereits zerfallen". Von diesem Zustand könnte nun - durch geeignete Versuchsanordnung - auch das Schicksal eines makroskopischen Lebewesens abhängen, z.B. durch einen "atomaren" Schalter, der beim Zerfall des Atoms ein Gift freisetzt in einen Behälter mit einer Katze. Nachdem der atomare Schalter sich bis zum Meßprozess in einem gemischten Zustand befindet, befindet sich damit auch die Katze in einem gemischten Zustand aus "Katze lebt noch" und "Kathe ist tod"?
Allein die Tatsache, dass sich die Phänomene unseres täglichen Lebens in einer dichten Verteilung von Molekülen abspielen, die wir Luft nennen, führt zu fortwährenden Wechselwirkungen, wodurch die reinen Zustände - sog. kohärente gemischte Zustände - in eindeutige, dekohärente überführt werden. Auch die Interferenzmuster im Doppelspaltexperiment verschwinden, wenn man den Versuch oberhalb einer Grenztemperatur (typischerweise etwa 600 Grad Celsius) durchführt und die Wechselwirkungsrate mit den Photonen damit erhöht. Aber wie wären die Effekte in einem idealen Vakuum, frei von Molekülen und frei von jedweder Strahlung?
Eine Forschergruppe um Caslav Brukner (Universität Wien / Institut für Quantenoptik und Quanteninformation) spürte dieser Frage nach und gelangte zu einer höchst interessanten Schlußfolgerung: Die Zeitdilatation der Allgemeinen Relativitätstheorie könnte auch beim Übergang zur klassischen Physik eine Rolle spielen.
Die Gravitation und damit die Auswirkungen der Allgemeinen Relativitätstheorie nehmen mit dem Abstand zur Masse (die das Gravitationsfeld mit verursacht) ab. Auf dem Mount Everest vergeht somit die Zeit ein wenig schneller als beim Sonnenbad am Meer. Selbst zwischen zwei Stockwerken eines Gebäudes kann dieser winzige Unterschied in der Zeitdilatation noch nachgewiesen werden. Treibt man den Effekt nun auf die Spitze, so würde jedes zusammengesetzte Objekt, beispielsweise ein Molekül, mit einem Ende eine minimal stärkere Gravitation verspüren als am anderen und in Folge Prozesse an einem Ende des Moleküls ein wenig langsamer ablaufen als am anderen.
Auch die Prozesse der Quantenmechanik können sich dem nicht entziehen. Die Unbestimmtheit des Ortes bedingt beispielsweise ein stetiges "Zittern", das sich somit an der Seite eines quanetenmechanischen Objektes, die der Erdoberfläche zugewandt ist, langsamer vollzieht als gegenüber. Berechnungen zeigen, dass dieser Unterschied bereits für einen Wechsel zur Dekohärenz ausreichen könnte. Der experimentelle Nachweis steht noch aus, wie lange beispielsweise Objekte im Doppelspaltexperiment der Gravitation ausgesetzt werden müssen, bis das Interferenzbild verschwindet.
(Copyright: Igor Pikovski, Harvard-Smithsonian Center for Astrophysic).
Link zur Originalpublikation: https://www.nature.com/nphys/journal/v11/n8/full/nphys3366.html
In unserer Videodatenbank finden Sie einen Beitrag von Harald Lesch zum Thema "Schrödingers Katze und die Dekohärenz" - viel Vergnügen!
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