Physik Nobelpreis 2015
Credit: Kamioka Observatory, ICRR (Institute for Cosmic Ray Research), The University of Tokyo, https://www-sk.icrr.u-tokyo.ac.jp/sk/gallery/index-e.html

Physik Nobelpreis 2015

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Anläßlich der heutigen Verleihung des Physik-Nobelpreises 2015 an Takaaki Kajita und Arthur McDonald für die Entdeckung der Neutrino-Oszillation, d.h. für die Eigenschaft der drei Neutrinosorten (Tau-, Myon- und Elektron-Neutrino) sich ineinander umwandeln zu können, stelle ich nachfolgend eine aktuell erweiterte Passage aus unserem Buch ein:

Neutrinos sind Elementarteilchen, d. h. sie sind nicht aus kleineren Bestandteilen zusammengesetzt. Die scheuen Gesellen sind die Ignoranten unseres Universums, sie kümmern sich um fast nichts und niemanden. Diese extrem niedrige Wechselwirkungsrate ist es, die sie selbst aus dem dichten Inneren unserer Sonne mühelos entkommen lässt. Ihre Reise durch den Glutball dauert weniger als drei Sekunden - nach rund 8,3 Minuten treffen sie bei uns ein. Allerdings durchdringen die Neutrinos auch unseren Planeten nahezu ungehindert.

Als ich während des Physikstudiums zum ersten Mal mit Neutrinos in Kontakt kam, da habe ich mir gedacht: Das ist völlig verrückt! Wenn du nur mal den Daumen Richtung Sonne hältst, dann rasen durch deinen Daumennagel pro Sekunde 10-mal mehr Neutrinos, als es Menschen auf diesem Planeten gibt. 70 Milliarden pro Sekunde! Eine irre Geschichte. Bereits Anfang des letzten Jahrhunderts war man bei der Untersuchung eines Zerfallsprozesses auf ein Rätsel gestossen. Genauer gesagt handelt es sich um den Beta-Zerfalls eines freien Neutrons in ein Proton, ein Elektron und eben ein bis dato unbekanntes Anti-Neutrino. Sowohl die Protonen als auch die Elektronen konnte man bereits im Labor nachweisen. Man kannte auch die Energie der Neutronen auf der einen Seite und hatte deshalb eine klare Vorstellung davon, welche Energie die Zerfalls­produkte auf der anderen Seite haben sollten. Die Messungen zeigten jedoch einen rätselhaften Unterschied. Man suchte nach Erklärungen: Entweder fehlt da noch Energie oder – und das war natürlich eine aberwitzige Vorstellung – man müsste den Energieerhaltungssatz bei diesen Zerfallsprozessen auf der Ebene der kleinsten Teilchen, die man damals kannte – Atome und Atomkerne –, aufgeben.

Und dann kam unter uns gesagt mein Held: Wolfgang Pauli. Eine echte Granate! Pauli erfand einfach diese Neutrinos, weil er sie brauchte, um den Energieerhaltungssatz zu retten. Ein sehr mutiger Mann! Als die Neutrinos 20 Jahre nach seiner mutigen Prognose tatsächlich nachgewiesen wurden, soll er gesagt haben: „Alle Dinge erreichen denjenigen, der es versteht zu warten.“
Mittlerweile kennen wir drei verschiedene Arten von Neutrinos und deren Antiteilchen. Sie sind also real. Das Verrückte an dem Ganzen ist, dass wir in jedem Augenblick von einer Unzahl dieser Neutrinos durchschlagen werden, man könnte fast ein bisschen Angst bekommen. Wir sind es ja gewöhnt, uns von allem möglichen abzuschirmen. Wenn wir uns vor Gamma-Strahlung schützen wollen, bauen wir einfach eine geeignete Bleiwand auf. Wenn wir vor den Neutrinos in Deckung gehen wollten, könnte man jetzt auch auf die Idee einer Schutzwand kommen. Aber selbst wenn wir den gesamten Raum zwischen Sonnenoberfläche und unserem Planeten mit Blei ausgießen könnten, wären wir nicht nennens­wert geschützt. Wenn sie aber fast nicht wechselwirken, wie kann man sie dann feststellen?

Damit überhaupt eine Wechselwirkung stattfindet, muss natürlich eine riesige Masse bereitgestellt werden. Die Mutter aller dieser Experimente ist Kamiokande, das Kamioka-Nucleon-Decay-Experiment aus dem Jahr 1982. Nahe der japanischen Gemeinde Kamioka wurde in einer ausgedienten Mine einen Kilometer unter der Erde ein Behälter mit 3.000 Tonnen hochreinem Wasser aufgestellt. Bei der Weiterentwicklung 1996 (Super-Kamiokande) waren es dann schon 50.000 Tonnen.

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Skizze des Super-Kamiokande-Detektors.
Credit: Kamioka Observatory, ICRR (Institute for Cosmic Ray Research), The University of Tokyo,

 

 

In verschiedenen Reaktionen werden geladene Teilchen produziert (Elektronen oder Myonen),  die sich im Wasser schneller ausbreiten als das Licht. Dies steht nicht im Widerspruch zur maximal erreichbaren Geschwindigkeit im Universum, der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum (3 x 108 m/s), weil sich das Licht im Wasser lediglich mit 2,25 x 108 m/s) ausbreitet und somit unterhalb des absoluten Tempolimits überholt werden kann. Im Vorbeiflug an den Wassermolekülen lenken die geladenen Teilchen deren Elektronen aus und der anschließende Rückgang in den Grundzustand setzt Photonen frei. Diese Strahlung  würde üblicherweise mit Lichtgeschwindigkeit destruktiv interferieren, d. h. sich gegenseitig auslöschen. Durch die Ausbreitung der geladenen Teilchen mit Überlichtgeschwindigkeit im Medium wird Strahlung schneller angeregt, als sie interferieren kann. Die Teilchen jagen diesen kegelförmigen Lichtblitz vor sich her, ähnlich einer Stoßwelle eines Überschallflugzeuges in Luft. Das resultierende bläuliche Licht nennt man Cherenkov-Licht, nach seinem Entdecker Pawel A. Cherenkov.

Warum geht man so weit unter die Erde in eine alte Mine? Das Messverfahren ist so sensibel, dass es von der kosmischen Strahlung abgeschirmt werden muss, die überall auf der Erdoberfläche auftritt. Den Anfang hatten die Amerikaner in einem Bergwerk in South Dakota gemacht, der 1.500 m tiefen Homestake-Mine. Dort stellten sie einen Tank mit 380.000 Litern Tetrachlorethen auf – also Abflussreiniger. Alle heiligen Zeiten einmal wandeln Neutrinos darin ein 37Chlor-Atom in ein 37Argon-Atom um. Ein ähnliches Verfahren verwandelt 71Gallium zu 71Germanium. Das ­passiert in Italien unter dem gewaltigen Bergmassiv Gran Sasso in einem Tunnelsystem. Das Labor ist praktischerweise über die Autobahn zu erreichen, die mitten durch den Berg verläuft.

Die Suche in den ausgedienten Minen wird schließlich noch von dem Experiment IceCube übertroffen, das seit wenigen Jahren am Südpol läuft. Dort hat man einen Kubikkilometer Eis mit Mess­geräten ausgestattet. Dafür wurden zunächst mit heißem Wasser 86 Löcher gebohrt und über 5.000 Messgeräte versenkt. Diese weisen den schwachen Lichtkegel nach, den die Neutrinos extrem selten im Eis hinterlassen. Das ganze findet in einer Tiefe zwischen 1,5 und 2,5 km statt, weil dort das Eis wegen des hohen Drucks so dicht wird, dass es für diese Messgeräte ausreichend durchsichtig ist. Typische Weglängen, die Licht in einer solchen Umgebung unbeschadet durchläuft, betragen etwa 100 Meter. Bis dahin muss es einen der Photomultiplier erreicht haben, die das zarte Cherenkov-Licht zu einem handfesten Signal verstärken. Verblüffenderweise hat sich während des Betriebs herausgestellt, dass extrem hochenergetische Neutrinos im Eis sogar einen akustischen Knall freisetzen können. Ob dieses Signal ebenfalls zur Detektion beitragen kann, wird noch überprüft.

Weltweit sind wir mit diesen Detektoren gut aufgestellt. Tag für Tag weisen wir das ein oder andere Neutrino nach. Das mag wenig erscheinen, ist jedoch angesichts der extrem niedrigen Wechselwirkungsrate ein großer Erfolg. Haim Harari, ein israelischer Elementarteilchenphysiker, hat mal gesagt: „Neutrinophysik ist zum großen Teil die Kunst, eine Menge zu lernen, in dem man nichts beobachtet.“ Oder frei nach Karl-Kraus: „Neutrinophysik ist die Kunst, auf einer Glatze Locken zu wickeln.“

Wir haben es also mit einem Teilchen zu tun, das zunächst erfunden worden ist, um etwas zu erklären. Dann ist es entdeckt worden. Die ersten Experimente sind rund 20 Jahre nach seiner offiziellen Erfindung gemacht worden. Dann kommen die Astronomen und sagen: Ja, wenn es diese Neutrinos gibt, dann müssten sie doch bei den Kernprozessen in den Sternen entstehen. Wenn es uns gelänge, diese Neutrinos nachzuweisen, dann könnten wir endlich in das Innere der Sonne schauen. Dann hätten wir endlich einen direkten Beweis dafür, dass unsere Sonne ein Fusions­reaktor ist. Ein Kernverschmelzungsapparat, in dem Neutrinos in unglaublicher Menge entstehen! 

Wie ist das mit der Masse der Neutrinos? Wir wissen, dass sie nicht masselos sind. Zumindest zwei davon. Es gibt ja drei verschiedene Neutrino-Familien. Wir wissen, dass es einen Masse-Unterschied zwischen ihnen geben muss - die einen sind schwerer als die anderen, sonst könnten sie sich nicht ohne weiteres ineinander um­­wandeln. Und genau hier sind wir beim Kern des diesjährigen Nobelpreises der Physik angelangt. Die Neutrinos verwandeln sich auf dem Weg von der Sonne zu uns um, diese sogenannte Neutrino-Oszillation konnten Takaaki Kajita und Arthur McDonald, beziehungsweise ihre Forschergruppen, nachweisen.

Der Vorteil von Kamiokande (und IceCube) liegt darin, dass sich aus der Leuchtspur die Richtung bestimmen lässt, aus der die detektierten Neutrinos kommen. Damit die Neutrinos überhaupt ein solches Cherenkov-Licht erzeugen, müssen sie allerdings über mindestens fünf MeV (Mega-Elektronenvolt) – also eine sehr hohe Energie – verfügen. Unterhalb dieser Schwellenenergie sind die Wassertanks für Neutrinos blind. Bei den chemischen Verfahren zur Transformation von Chlor zu Argon und Gallium zu Germanium liegt die Schwellenenergie wesentlich niedriger, typischerweise bei einigen hundert keV (Kilo-Elektronenvolt), dafür kann man sie nur zählen. Da ist man sich nicht einmal sicher, ob die Neutrinos von oben oder von unten, also durch den ganzen Planeten geflogen kamen.

Zusammen lieferten die Ergebnisse vom Super-Kamiokande in Japan und dem Sudbury Observatorium in Kanada den endgültigen Beweis: Tau-, Myon- und Elektronneutrinos wandeln sich ineinander um. Kajita und McDonald werden als Leiter ihrer jeweiligen Forschungsgruppen für diese Erkenntnis mit dem Nobelpreis geehrt. Mittlerweile konnten sogar einzelne Oszillationen konkret gemessen werden (Myon- zu Tau-Neutrinos und Myon- zu Elektron-Neutrionos (Messungen am Gran Sasso).

Demnach ist ein Neutrinos jeweils eine Überlagerung aus drei Möglichkeiten Neutriono1, Neutrino2 und Neutrino3.

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Credit: Kamioka Observatory, ICRR (Institute for Cosmic Ray Research), The University of Tokyo

 

Im Teilchenbild sieht die Veranschaulichung, dass jedes Neutrino aus jeweils mehr oder weniger Anteil an den drei grundlegenden Möglichkeiten besteht, folgendermaßen aus:

 

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Credit: Kamioka Observatory, ICRR (Institute for Cosmic Ray Research), The University of Tokyo,

 

Wir gratulieren den Preisträgern!

Josef M. Gaßner (6. Oktober 2015)

 


Copyright © Josef M. Gaßner

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