Gravitationswellen: Die Zweite
Am 4. Dezember 2015 haben wir in dem News-Beitrag „Gravitationswellen“ gefragt: Kann man sie nachweisen? Ein indirekter Nachweis war ja bereits Russell Hulse und Joseph Taylor 1974 gelungen anhand des Doppelsystems PSR1913+16, bestehend aus einem Neutronenstern und einem Pulsar. Durch das Kreisen um den gemeinsamen Schwerpunkt erzeugen die Objekte starke Verwerfungen in der Raumzeit und verlieren dabei kontinuierlich Energie. Dadurch nähern sie sich einander pro Jahr etwa 3,5 Meter an und diese Änderung der Bahnparameter wurde nachgewiesen (Nobelpreis 1993). Aber ein direkter Nachweis, eine Messung der Gravitationswellen, jener Prognose, die Albert Einstein vor rund 100 Jahren aufgestellt hatte, diese Trauben schienen zu hoch zu hängen. Einstein selbst erachtete es als unmöglich, Messungen jemals mit der nötigen Präzision durchzuführen. Wir sprechen hier von relativen Stauchungen und Dehnungen der Raumzeit in der Größenordnung von 10 -21, das entspricht einem Atomdurchmesser im Verhältnis zur Entfernung Sonne Erde.
Zu allem Überfluss haben die Kollegen ihren größten Triumpf am 14 September 2015 auch noch verschlafen – die Gravitationswelle wurde nämlich in den frühen Morgenstunden in Hanford und Livingston (beide USA) aufgezeichnet, mit einer zeitlichen Differenz von 7 Millisekunden. So kam es, dass die Entdeckung hier in Deutschland (Hannover) um 10:50:45 Uhr unserer Zeit zuerst aufgefallen war.
Hanford Livingston - (Bild: Caltech/MIT/LIGO Lab)
Erläutern wir kurz die Funktion der beiden Observatorien. Im Prinzip handelt es sich dabei um zwei riesige Michelson-Interferometer mit Armen von mehreren Kilometern Länge. Das von einem Laser emittierte Licht wird mittels Strahlteiler in die beiden Arme gelenkt, an deren Ende von Spiegel reflektiert und über den erwähnten Strahlteiler wieder zusammengeführt. Das dabei resultierende Interferenzmuster wird von einem Detektor analysiert. Trifft eine Gravitationswelle auf diese Anordnung, so wird einer der Arme kurzfristig gestaucht, der andere gleichzeitig etwas gelängt. Nach einer halben Periode kehren sich die Verhältnisse um: der zuvor gestauchte Arm wird nun gelängt, während der andere gestaucht wird. Aufgrund dessen kommt es zu einer Phasenverschiebung der beiden an den Spiegeln reflektierten Lichtwellen, was sich als Störung des vom Detektor registrierten Interferenzmusters bemerkbar macht. Die nachfolgende Grafik veranschaulicht den Aufbau der Observatorien.
(Bild: B. P. Abbott et al. Phys. Rev. Lett. 116, 061102 – Published 11 February 2016)
Verursacht wurden die Raumzeitwellen durch die Verschmelzung zweier umeinander kreisender Schwarzer Löcher (SL) mit Massen von rund 36 bzw. 29 Sonnenmassen zu einem SL von rund 62 Sonnenmassen. Die Differenz von 3 Sonnenmassen wurde in Form von Gravitationswellen abgestrahlt, die rund 1,2 Milliarden Jahre später auf der Erde ankamen. Heute ist der Ort an dem die „Vereinigung“ stattgefunden hat 390 Mpc, bzw. 1,27 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt. Die nachfolgende Grafik veranschaulicht den Prozess der Verschmelzung. Interessant ist der am unteren Bildrand über einen Zeitraum von 0,3 Sekunden dargestellte Verlauf der Signalstärke der beiden Detektoren.
(Quelle: www.starobserver.org, bzw. Astronomy Picture of the Day 11.02.2016)
Abschließend stellt sich noch die Frage wie vertrauenerweckend das Ergebnis ist. Nachdem in letzter Zeit einige voreilige Publikationen erschienen, ist Skepsis angebracht. Zahlreiche Prüfungen heben jedoch das Ergebnis auf ein Vertrauensniveau von etwas mehr als 5-Sigma. Das bedeutet: die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein derartiges Ergebnis zufällig auch ohne den Durchgang einer Gravitationswelle einstellt, ist mit 1 zu 3,5 Millionen extrem klein.
Welche Bedeutung hat der Nachweis für die Wissenschaft?
Mit der ersten Detektion von Gravitationswellen hat sich ein weiteres Fenster ins Weltall einen Spalt weit geöffnet. Sobald weitere Anlagen in Betrieb gehen (VIRGO und KAGRA) werden wir in der Lage sein, Triangulation zu betreiben, d.h. die Herkunft der Signale zu bestimmen. Damit werden wir das Eintreffen von Gravitationswellen aus kosmischen Ereignissen vergleichen mit den Photonen dieser Phänomene und Aufschluss gewinnen über die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Gravitationswellen. Daran geknüpft ist auch die Frage, ob ein potentielles Graviton masselos ist.
Nicht zuletzt bestätigt dieser Gravitationswellen-Nachweis auch die Existenz von SL-Doppelsystemen stellarer Masse. Ein willkommenes Nebenergebnis der Theorie zur Verschmelzung Schwarzer Löcher.
Salopp formuliert könnte man sagen, ein weiteres Tor zu den Rätseln dieser Welt steht uns offen. Neben der dunklen Seite des Universums bekommen wir es jetzt auch noch mit der verbeulten Seite zu tun. – Und Einstein? Er hat wieder einmal Recht behalten. In Bayern würdigt man derart außergewöhnliche Persönlichkeiten mit der Bemerkung: A Hund war a scho.
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