Machen wir es kurz: Auch die neuesten Ergebnisse einer Untersuchung an Antiwasserstoff haben keinen Hinweis geliefert, warum es im uns zugänglichen Universum nur Materie, aber praktisch keine Antimaterie gibt. Obwohl es in der Frühphase des Kosmos ursprünglich gleich viel Materie und Antimaterie gegeben haben muss, ist nach wie vor unklar, wie es zu dieser Asymmetrie gekommen sein könnte. Wir haben uns mit diesem Thema schon einmal im News-Beitrag „Symmetriebruch der Schwachen Kernkraft“ vom 16.09.2015 ausführlich beschäftigt und die von den Teilchenphysikern vorgeschlagene Verletzung der CP-Symmetrie als Ursache für das Materieungleichgewicht untersucht. Dort haben wir auch über Experimente berichtet, die darauf abzielen, eine unterschiedliche Masse von Teilchen und Antiteilchen, wie z.B Deuterium und Antideuterium, für die Asymmetrie verantwortlich zu machen. Ein Unterschied war jedoch nicht festzustellen.
Nun haben Physiker am CERN in Genf untersucht, ob nicht vielleicht bei der elektronischen Anregung von normalen Wasserstoff und Antiwasserstoff das CPT-Theorem (charge parity time) der Teilchenphysik verletzt ist. Entsprechend diesem Theorem sollte ein mit normaler Materie ablaufender Prozess genauso ablaufen, wenn die Materie durch Antimaterie ersetzt und zusätzlich der Raum gespiegelt wird. Man bezeichnet das als CPT-Invarianz.
Zunächst ein paar Worte zum Antiwasserstoff. Im Prinzip ist Antiwasserstoff so aufgebaut wie normaler Wasserstoff, wobei jedoch als Kern ein Antiproton und als die ihn umkreisende Ladung ein Anti-Elektron, d.h. ein positiv geladenes Positron dient (Bild 1: links normaler, rechts Antiwasserstoff).
Bild 1 (Quelle: https://www.scinexx.de/wissen-aktuell-20975-2016-12-21.html)
Wie das Proton besteht auch das negativ geladene Antiproton aus drei Quarks, und zwar aus einem Anti-down-Quark (Ladung: + 1/3) und zwei Anti-up-Quarks (Ladung: je - 2/3). Nach außen ist der Antiwasserstoff elektrisch neutral.
Was haben die Wissenschaftler gemacht? Sie haben untersucht, ob es einen Unterschied in den Spektren des „normalen“ Wasserstoffs und des Antiwasserstoffs gibt. Wäre das der Fall, so wäre das CPT-Theorem verletzt und eventuell ein Hinweis auf die Ursache für die Asymmetrie zwischen Materie und Anti-Materie gefunden. Die Frage war: Ist das Energieniveau des 2s-Zustands beim Antiwasserstoff gleich dem des genau bekannten Niveaus des normalen Wasserstoffs (Bild 2)?
Bild 2: Energieniveaus des Wasserstoffatoms (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserstoffatom)
Mit ihrem Experiment konzentrierten sich die Forscher auf den elektronischen Übergang vom Grundzustand 1s (m = 1) in den ersten angeregten Zustand 2s (m = 2). Wie die Grafik zeigt, beträgt die Energiedifferenz zwischen diesen beiden Energieniveaus 10,2 eV. Beim normalen Wasserstoff ist das leicht zu messen. Aber Antiwasserstoff mussten die Forscher erst herstellen und sicher speichern, denn einen Kontakt mit normaler Materie, z.B. den Wänden der Versuchsanordnung, musste mit Hilfe von Magnetfeldern unterbunden werden, da sonst der Antiwasserstoff sofort zerstrahlt wäre.
Für das Experiment nutzten die Physiker Jeffrey Hangst von der Universität Aarhus und seine Kollegen von der ALPHA-Kollaboration die Antimateriefalle des ALPHA-Experiments am CERN (Bild 3).
(Quelle: https://www.nature.com/nature/journal/vaap/ncurrent/pdf/nature21040.pdf)
Für jeden Versuch wurden in der Mitte der Falle (Abschnitt „antihydrogen synthesis and trapping“) rund 90.000 Antiprotonen mit ca. 1,5 Millionen Positronen in Kontakt gebracht, wobei jeweils rund 25.000 Antiwasserstoffatome entstanden. Für den eigentlichen Versuch, also die Anregung des Antiwasserstoffs mit Licht entsprechender Wellenlänge, konnten davon jedoch nur jeweils rund 14 Antiwasserstoffatome in der Falle gehalten werden.
Um das 2s-Niveau des Wasserstoffs aus dem Grundzustand anzuregen, ist eine Energie von 10,2 eV nötig (siehe Bild 2). Dazu verwendeten die Physiker einen Laser der Wellenlänge 243 Nanometer. Licht dieser Wellenlänge hat jedoch nur halb so viel Energie, d.h. 5,1 eV. Um dennoch eine Anregung zu erreichen, mussten also zwei Photonen gleichzeitig vom Antiwasserstoff absorbiert werden. Ein seltener, aber hin und wieder doch eintretender Fall. Dazu wurde das von links in die Falle eintretende Laserlicht in einen optischen Resonator eingespeist, in dem es vom Spiegel am anderen Ende des Resonators wieder reflektiert wurde, sodass das Laserlicht aus zwei entgegengesetzten Richtungen auf die Atome traf. Das hat den Vorteil, dass man vom Dopplereffekt unabhängig ist. Mit Hilfe eines Modulators konnte die Frequenz des Lichts in gewissen Grenzen verändert werden, um die für eine Anregung passende Wellenlänge zu justieren. Ist ein Atom einmal angeregt, so kann es nicht mehr gehalten werden, es bricht aus und zerstrahlt an den Wänden der Falle. Nach einer Bestrahlungsdauer von 300 Sekunden hatten, in guter Übereinstimmung mit dem Erwartungswert, (58 ± 6) Prozent der vorhandenen Atome die Falle verlassen.
Das Ergebnis hat zwei Gesichter: Zum einen hat sich gezeigt, dass sich die Energieniveaus von Wasserstoff und Antiwasserstoff nicht unterscheiden. Unter gleichen Bedingungen verhält sich Antiwasserstoff genau so wie normaler Wasserstoff. Eine Verletzung des CPT-Theorems konnten die Experimente nicht belegen. Nach Aussage der Experimentatoren bestätigen ihre Ergebnisse mit einer relativen Genauigkeit von ca. 2 × 10−10 die CPT-Invarianz. Zum anderen hat auch diese Untersuchung die Hoffnung zerschlagen, einen Unterschied im Verhalten der Antimaterie relativ zur Materie aufzudecken. Einen Hinweis, wie es zu der Materie-Antimaterie-Asymmetrie im frühen Universum gekommen sein könnte, hat auch dieses Experiment nicht erbringen können.
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