Nach wie vor haben wir keine Antwort auf die Frage, woran es liegt, dass etwas ist und nicht Nichts. Warum wurden Materie und Antimaterie beim Zerfall der X- und Y-Bosonen im frühen Universum von der schwachen Kraft unterschiedlich behandelt? Warum entstand auf je 10 Milliarden Teilchen bzw. Antiteilchen ein zusätzliches „normales“ Teilchen, das nach der gegenseitigen Vernichtung von Materie und Antimaterie übrig blieb? Unterscheiden sich eventuell doch Materie und Antimaterie in einer oder gar in mehreren ihrer fundamentalen Größen, die gemäß dem Standardmodell der Teilchenphysik identisch sein sollten? Über die Versuche, einen Unterschied beim Masse-Ladungsverhältnis von Protonen und Antiproton oder bei der elektrischen Ladung von Wasserstoff und Antiwasserstoff oder auch zwischen den Spektren dieser Atome zu finden, haben wir schon mehrfach berichtet (siehe die News-Beiträge „Materie-Antimaterie-Asymmetrie“, „Symmetriebruch der schwachen Kernkraft“ und das Video „Antimaterie Stand 2017“). Bislang hat sich jedoch in keinem Fall eine Diskrepanz bei den entsprechenden Werten gezeigt.
Vor kurzem haben nun H. Nagahama und Kollegen im Rahmen der BASE- Kollaboration (Baryon Antibaryon Symmetrie Experiment) am Antiproton Decelerator (AD) des Forschungszentrums CERN einen neuen Versuch gestartet, einen Unterschied zwischen Protonen und Antiprotonen aufzudecken. Diesmal haben sich die Forscher das magnetische Moment des Antiprotons vorgenommen und es in einer extrem aufwendigen Versuchsreihe mit bisher unerreichter Genauigkeit vermessen. Speziell hat man den sogenannten g-Faktor (Landé-Faktor) betrachtet, den Quotienten aus dem gemessenen magnetischen Moment und dem nach den Regeln der klassischen Physik, bei gleicher Masse, Ladung und Drehimpuls, zu erwartenden magnetischen Moment.
Zunächst zum physikalischen Hintergrund: Eine Ladung q auf einer kreisförmigen Umlaufbahn besitzt einen Bahndrehimpuls L sowie ein klassisches magnetisches Moment ml gleich
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Da in diesem Fall das magnetische Moment nur auf dem Drehimpulses L des Teilchens beruht, stimmen das gemessene und das berechnete magnetische Moment überein, sodass gl = 1 ist.
Beruht das magnetische Moment jedoch ausschließlich auf dem in der Quantenmechanik als Spin s bezeichneten Eigendrehimpuls des Teilchens, so lautet die Formel für das magnetische Moment µs analog zur Gleichung (1)
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Die Größe gs bezeichnet man als Spin-g-Faktor bzw. als anomalen g-Faktor des Spins. Für jede Teilchenart hat gs einen bestimmten Wert. Im Allgemeinen kann man den Wert gs nicht berechnen, er muss daher experimentell ermittelt werden.
Bei der experimentellen Bestimmung von gs macht man sich zunutze, dass der Spin bzw. das magnetische Moment eines Teilchens in einem äußeren Magnetfeld eine Präzessionsbewegung ausführt. Die Umlauffrequenz dieser Rotation bezeichnet man als Larmor-Frequenz ωL.
Bild 1: Präzession des Magnetischen Moments um ein Magnetfeld B
(Bildquelle: https://www.physi.uni-heidelberg.de/~menzemer/Pr%C3%A4zisionsexperimenteWS1314/g-2Elektron.pdf)
Die Larmor-Frequenz berechnet sich zu
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wobei e die Ladung des Teilchens, mp dessen Masse (hier die Masse des Protons bzw. Antiprotons) und B die Stärke des Magnetfeldes bedeuten.
Neben der Larmor-Präzession führt ein geladenes Teilchen in einem externen Magnetfeld auch eine Rotation um das Magnetfeld aus. Diese Rotationsfrequenz bezeichnet man als Zyklotron-Frequenz ωC. Die Formel für ωC lautet:
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Kennt man ωL und ωC, so erhält man den Landé-Faktor gs aus der Beziehung
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Zur Messung von ωL und ωC des Antiprotons verwendeten die Forscher eine aus drei gekoppelten Fallen bestehende Penningfalle, in der die Teilchen hin und her geschoben werden.
Bild 2: Die beim Experiment benutzte schematisierte Penningfalle
(Bildquelle: https://www.nature.com/articles/ncomms14084/figures/1)
Der linke Teil der Falle dient als Reservoir für die Antiprotonen. Im Mittelteil der Falle (Comagnetometer trap) wird die Stärke des Magnetfeldes kontinuierlich gemessen. Die Bestimmung der Larmor-Frequenz ωL und der Zyklotronfrequenz ωc erfolgt in der Analyse-Falle (Ananlysis trap). Dort wird dem Magnetfeld ein Radiofrequenzfeld überlagert, das stufenweise so lange verändert wird, bis Resonanz eintritt und der Spin des Teilchens umklappt. (Eine ausführliche Beschreibung des Versuchsaufbaus und der Messung findet man in der Originalpublikation unter: https://www.nature.com/articles/ncomms14084)
Zur Bestimmung des Landé-Faktors gp des Antiprotons haben die Experimentatoren insgesamt sechs Messreihen durchgeführt. Die gemittelten Daten ergaben für gp/2 des Antiprotons einen Wert von 2,7928465. Vergleicht man das mit dem bekannten gp/2 des Protons von 2,792847350, so unterscheiden sich beide Werte gerade mal um 8,5 x 10-7. Mit anderen Worten: Im Rahmen der Messgenauigkeit stimmen die magnetischen Momente von Proton und Antiproton überein! Damit hat sich zum wiederholten Male die „Hoffnung“ zerschlagen, bei einer fundamentalen Größe einen Unterschied zwischen Materie und Antimaterie aufzudecken. Somit haben auch diese Messungen keinen Hinweis auf die Ursache geliefert, die vermutlich schon im sehr frühen Universum zu der Materie-Antimaterie-Asymmetrie geführt hat.
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