Es gibt sie, es muss sie geben sagen die Kosmologen, und man kann sie auch indirekt sichtbar machen: die Dunkle Materie. Während die baryonische Materie nur mit rund fünf Prozent zum Energiehaushalt des Universums beiträgt, sind es bei der Dunklen Materie knapp 27 Prozent. Aber allen Versuchen der Experimentalphysiker zum Trotz gelang es bislang nicht zu entschlüsseln woraus sie besteht. Sind es massive Teilchen? Welche Masse haben sie? Und wieso wirkt auf sie nur die Gravitation, nicht aber die starke, die schwache und die elektromagnetische Kraft? Langsam werden die Physiker unruhig. Denn man hat trotz ausgefeilter und trickreicher Meßverfahren bislang keinen experimentellen Hinweis auf die Natur der Dunklen Materie gefunden. Da kann man sich schon mal fragen, ob man die richtige Spur verfolgt.
Doch damit nicht genug. Neue Messungen an Spiralgalaxien zeigen ein verblüffendes Ergebnis. Betrachtet man Spiralgalaxien in unserer „näheren“ Umgebung, also solche, die wir aus einer Zeit von mindestens 8,5 bis 9 Milliarden Jahren nach dem Urknall sehen, dann ist die Rotationsgeschwindigkeit der galaktischen Scheibe bis in die Außenbereiche nahezu konstant oder steigt sogar etwas an. Da die Dichte und somit die Masse der leuchtenden, sichtbaren baryonischen Materie mit wachsendem Abstand vom Zentrum abnimmt, widerspricht das den Keplerschen Gesetzen. Demnach sollte die Rotationsgeschwindigkeit vom Zentrum nach außen zunächst proportional zum Scheibenradius r bis zu einer Maximalgeschwindigkeit ansteigen, ab da jedoch proportional zur Wurzel aus 1/r abfallen. Da das aber nicht der Fall ist, muss es, so die gängige Lehrmeinung, in den Galaxien einen relativ großen, zusätzlichen Anteil an Dunkler Materie geben, der für die nötige Beschleunigung der Außenbereiche der Scheibe sorgt. Um also das Rotationsverhalten von Spiralgalaxien erklären zu können, muss man der Dunklen Materie eine Dominanz in den Galaxien einräumen.
Doch nun hat eine Gruppe internationaler Astronomen unter der Leitung von Reinhard Genzel am Max Planck Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München sechs Scheibengalaxien in einer Entfernung von rund 10 Milliarden Lichtjahren ins Visier genommen. Die Beobachtungen überdecken die Zeitspanne von etwa 2,5 bis 7 Milliarden Jahren nach dem Urknall, die Epoche der größten Sternentstehungsrate in den Galaxien. Insgesamt hat man 97 Scheibengalaxien untersucht, wobei man von sechs die Rotationskurven bestimmen konnte. Diese sechs haben eine Rotverschiebung z von 0,9 bis 2,4. Zur Überraschung der Forscher rotieren diese frühen Galaxien jedoch anders als unsere Nachbargalaxien. Insbesondere in den Außenbereichen der Scheibe ist die Rotationsgeschwindigkeit viel geringer (Bild 1).
Bild 1: Galaxie im nahen (links) und im frühen Universum
(Bildquelle: https://www.eso.org/public/news/eso1709/)
Den deutlichen Abfall der Rotationsgeschwindigkeit zum Rand der Galaxien entgegen den Beobachtungen an heutigen Spiralgalaxien, führen die Forscher auf die Abwesenheit von Dunkler Materie zurück. Gemäß den Messungen dominiert in den frühen Galaxien nicht die Dunkle, sondern die baryonische Materie. Für Dunkle Materie bleibt kaum Raum. Reinhard Genzel führt das darauf zurück, dass es in den frühen Galaxien wesentlich mehr Gas als in den heutigen gab. Man nimmt an, dass sich das Gas in relativ kurzer Zeit zu einem kompakten Kern aus baryonischer Materie verdichtet hat. Dagegen benötigte die zunächst großräumig verteilte Dunkle Materie, die nur über die Gravitation wechselwirkt, viel mehr Zeit um sich so weit zu verdichten, dass sie sich in den Rotationskurven bemerkbar machen konnte.
(Ergänzend dazu sei erwähnt, dass die Bestimmung der Verteilung der Dunklen Materie im Kosmos bislang uneinheitliche Ergebnisse geliefert hat. Wie im News-Beitrag vom 20.12.2016 berichtet, haben Messungen einer Gruppe internationaler Astronomen am Argelande-Institut für Astronomie in Bonn und am Leiden Observatorium in den Niederlanden, eine deutlich gleichmäßigere Verteilung ergeben, als die Daten des Satelliten Planck. Ob sich diese Diskrepanz in den Messungen der Max Planck Gruppe niederschlägt, kann hier nicht beurteilt werden.)
Doch es gibt noch einen anderen Grund, der für die verlangsamte Rotation verantwortlich sein könnte. In den frühen Galaxien war die Gasdichte nicht nur größer, das Gas war auch wesentlich turbulenter. Ein großer Teil der Galaxiendynamik steckte also schon in den Wirbeln des Scheibengases. Entsprechend verlangsamt war die Rotationsgeschwindigkeit der Scheibe.
Wie soll man nun die Ergebnisse bewerten? Obwohl sich die Forscher sicher sind, dass ihre Meßwerte stimmen, muss man abwarten ob sie von anderen Gruppen bestätigt werden. Hat alles seine Richtigkeit, so zeigen die Messungen, dass insbesondere in den Scheibengalaxien des frühen Universums Dunkle und baryonische Materie anders verteilt waren. Während die Galaxien heute von Dunkler Materie dominiert werden, war es damals die baryonische Materie. Und wie die Auswertung der anderen 93 untersuchten Sternfamilien zeigt, wird das umso deutlicher, je weiter man in die Vergangenheit zurückblickt.
In Summe liefert die Studie neue und überraschende Erkenntnisse zur Entwicklungsgeschichte von Scheibengalaxien. Darüber hinaus unterstreichen die Ergebnisse die herausragende Rolle, die der Dunklen Materie bei der Strukturbildung im Kosmos zukommt.
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